Julia Sciancalepore ist mit Heinrich IV Teil des österreichischen Teams für die Paralympischen Sommerspiele in Tokio. Coronabedingt wurden diese von 2020 auf dieses Jahr verschoben. Österreichs Grad-I-Reiterin nahm’s mit Humor. Sie hoffte auf diesjährige Spiele zur Kirschblüte. Dieser Wunsch ging zwar nicht in Erfüllung, die Vorfreude ist dennoch groß. Wir haben die 25-jährige Bundesheerleistungssportlerin in Kärnten besucht und mit ihr über die Vorbereitung auf das Großevent gesprochen.

Julia Sciancalepore

Eigentlich hätten die Paralympischen Spiele in Tokio ja schon im Jahr 2020 über die Bühne gehen sollen. Letztlich wurden sie wegen Corona verschoben.
Wie hat das dein Training verändert?

Julia Sciancalepore: „Ich bin jeden Tag davon ausgegangen, dass die Paralympischen Spiele stattfinden werden. Es ist besser, man ist darauf vorbereitet und es wird abgesagt, als man ist unvorbereitet und dann findet es doch statt. Als die Absage kam, war mein erster Gedanke: ‚juhu, jetzt muss ich die Schrittaufgaben nicht mehr reiten.‘
Natürlich habe ich mir dann neue Ziele gesetzt, etwa schwierigere Lektionen für die Kür herausgesucht.Sonst habe ich auch viel normale Dressur bis Klasse L und Springen trainiert.“

Nun sind die Spiele für diesen Sommer angesetzt. Aufgrund der Herpes-Epidemie sind Anfang des Jahres zahlreiche Turniere ausgefallen. Wie bereitest du dich mit diesem verspäteten Saisonstart auf das Großereignis vor?
„In Stadl-Paura wäre ja eigentlich ein internationales Para-Turnier gewesen. Davon blieb nur ein nationales Turnier übrig, was sehr schade ist. Aber ich finde es super, dass die Veranstalter es dennoch machen, damit ich eine Trainingsmöglichkeit habe. Vier bis fünf Mal pro Woche trainiere ich mit Heinrich IV bei Sara Wahl, zusätzlich mache ich jeden Tag Mentaltraining. Ich reflektiere mein Training vom Vortag und überlege, was ich an dem Tag üben will. Und für mich selbst wieder ein bisschen mehr Gymnastik, damit ich flexibler im Sattel bin.“

„Ein guter Trainer verändert dein Training. Der beste Trainer dein Leben.“

Es sind für dich nach Rio de Janeiro 2016 die zweiten Paralympischen Spiele, an denen du teilnimmst. Bereitest du dich dieses Mal anders vor? 
„Bei Rio bin ich ja erst ein Jahr davor in den internationalen Turniersport eingestiegen. Eigentlich wollte ich nicht nach Rio fahren, weil ich es nicht eingesehen habe, für zehn Minuten Schrittreiten eine solche Reise zu machen. Wäre da nicht Sara, meine Trainerin, gewesen. Ich habe gerade erst den Spruch gelesen: ‚ein guter Trainer verändert dein Training. Der beste Trainer dein Leben.‘ Sara hat mich mehr oder weniger dazu überredet, dass ich nach Rio geflogen bin. (lacht) Und seitdem läuft es einfach bei mir. Direkt nach Rio habe ich mein Pferd von Petra Kerschbaum geschenkt bekommen und mein Studium auf der Fachhochschule abgebrochen und eines an der Universität in Klagenfurt begonnen, damit ich Zeit zum Trainieren habe und ein Jahr später bin ich beim Bundesheer aufgenommen worden. 
Dann war klar: Tokio ist das große Ziel, darauf trainiere ich hin. Im letzten Wintersemester habe ich sogar einen Japanisch-Kurs belegt. Mit den Schriftzeichen habe ich es nicht so. Aber meine Nudeln und Suhi kann ich mir bestellen.“

Julia Sciancalepore

Worauf freust du dich in Hinblick auf die Spiele am meisten? 
„Ich freue mich sehr, wieder unter ganz vielen verschiedenen Sportlern zu sein. Es ist immer spannend, wenn Sportler aus verschiedenen Disziplinen aufeinanderstoßen. Man sieht die Unterschiede aber auch die Parallelen zum eigenen Sport.“ 

Das Klima in Tokio ist aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit sehr speziell. Wie bereitest du Heinrich IV darauf vor? 
„Wir haben den Luxus, dass ich immer Einzelunterricht bekomme und dass wir eine große Halle mit Sprinkleranlage haben. Kärnten ist temperaturmäßig ziemlich gleich wie Tokio. Wenn man da mal schön vorher den Sprinkler laufen lässt und es in der Halle 99 % Luftfeuchtigkeit hat, dann ist das eine ganz gute Vorbereitung, würde ich behaupten. Solche Tricks haben wir schon parat.“ 

In den vergangenen vier Jahren hast du eine steile Sportkarriere hingelegt. Hat sich auch deine Einstellung zum Sport geändert? 
„Als ich den Heini bekommen habe, war klar, es ist der einfachste Weg, das Pferd am Turnier vorzustellen, damit es Erfahrung im Schritt sammelt. Für mein privates Vergnügen kann ich ja trotzdem nationale Turniere starten, was ich letztes Jahr angefangen habe. Ich habe mittlerweile einen anderen Zugang. Zugegeben, Schrittreiten ist langweilig. Aber es ist meine Büroarbeit. Es ist mein Job. Andere machen Abrechnungen, ich muss eben Schrittaufgaben üben.“ 

Dabei ist der Schritt die wohl schwierigste Gangart …
„Genau. Eine Schwierigkeit der Grad-I-Aufgaben ist es, dass es keine Übergänge gibt, außer beim Zügel-aus-der-Hand-Kauen-lassen. Aber generell bleibt das Pferd immer im Mittelschritt, es gibt keine Verstärkung, keine Versammlung. Das ist schwierig für ein Pferd, das gerne mitdenkt und viel macht. 

Momentan habe ich die Aufgabe, den Zügelkontakt stetig zu halten, was ein Problem ist, weil ich ja wackele. Wenn mein Pferd wirklich jeder Bewegung folgen würde, würde es ja ständig den Kopf schütteln. Deshalb hat er es sich angewöhnt, in seiner Haltung zu gehen und wenn ich etwas mache, stellt er sich. Ich muss jetzt schauen, dass wir mehr in die Mitte kommen. Aber er kann meine Behinderung sehr gut herausfiltern. Das ist sicher ziemlich schwierig für ein Pferd, wenn es den Unterschied zwischen einem Kurzkehrt oder einem normalem Seitwärts erkennen muss. Heini erkennt sehr gut, was ich haben will.“ 

Julia Sciancalepore

Was ist dir im Training mit dem Pferd wichtig? 
„Ich habe eine enge Verbindung zum Pferd. Ich merke es, wenn er nicht gut drauf ist. Dann mache ich lieber Bodenarbeit. Je nachdem, wie nahe das nächste Turnier ist, versuche ich das Training sehr vielseitig zu gestalten. Eine Woche vor dem Turnier reite ich noch eher locker und trainiere nicht voll. Ich kenne viele, die dann quasi noch Fehler ausbügeln wollen, in der kurzen Zeit. Den Stress mache ich mir gar nicht. Wobei ich auch dazusagen muss, dass der Heini auf einem Turnier besser zu reiten ist als daheim. Daheim ist er extrem entspannt, am Turnier will er sich präsentieren.“ 

Ein großes Talent von Sportler:innen ist es, richtig mit Frust umzugehen. Wenn es am Turnier einmal nicht so läuft, wie du es gerne gehabt hättest – kannst du das schnell abhaken?
„Ja. Ich schaue mir die Videos an, schaue mir die Protokolle an. Nach dem Turnier habe ich dann Spaßwoche, wo ich alles mache, was ich sonst nicht darf: Springen zum Beispiel oder mit dem Ball spielen wir auch gerne. Also zumindest ich. (lacht) 
Damit hat man eine Abgrenzung und kann sich ordentlich auf das nächste Turnier vorbereiten. Es ist wie beim Reiten: Annehmen und Nachgeben. Du kannst kein Pferd reiten, wenn du nur annimmst. Du musst auch einmal Nachgeben, damit es schön über den Rücken schwingen kann. So halte ich es auch im Training: Man kann nicht immer Vollgas geben. Klar braucht man Disziplin, aber man muss auch eine gewisse Lockerheit wahren, damit man nicht zu verkrampft wird und in einen Tunnelblick verfällt.“

„Es ist wie beim Reiten: Annehmen und Nachgeben.“

Julia Sciancalepore
Julia Sciancalepore

Apropos Tunnelblick: Du arbeitest täglich mit Mentaltraining. Wie integrierst du das in das Turniergeschehen? 
„Am Wettkampftag selber darf mich außer der Sara zwei Stunden vor dem Start niemand mehr ansprechen. Da bin ich schon im Fokus. Ich setze mich dann wirklich auf die Tribüne und visualisiere den Ritt mit Wettkampfatmosphäre von anderen Reitern, damit ich die Spannung, die im Stadion herrscht, aufnehmen kann.“ 

Welches Ziel hast du dir für die Paralympischen Spiele in Tokio gesteckt? 
„Ich möchte meine Kür reiten. Mit ihr habe ich mich ziemlich lange beschäftigt und sie wird technisch sehr schwer. Es ist das erste Mal seit ich mit dem Heini reite, dass der Ritt ein Niveau hat, das mir Spaß macht. Es ist nicht mehr auf Sicherheit geritten, es ist herausfordernd. Deshalb will ich unbedingt unter die Top-Sieben in der Pflicht kommen.“ 

Dafür wünschen wir dir alles Gute und danken für das Gespräch! 

Julia Sciancalepore